Wie funktioniert Feldenkrais?
Ob es sich um die Bewegung deines Atmens, Aufstehens, Gehens oder Tanzens handelt: Alles im Leben geschieht in Bewegung. Immer und überall. Wenn es uns gelingt, die Qualität deiner Bewegungen zu verbessern, verändert das nicht nur die Qualität der Handlung — sie schenkt auch mehr Freude und ist ein direkter, ganzer Ausdruck deines individuellen Lebens.
Die menschliche Anatomie ist für Bewegung geschaffen. Der Aufbau des menschlichen Skeletts für den aufrechten Gang ermöglicht ihm (Ver)Formbarkeit in unvergleichlichem Spielraum: Er tanzt auf Spitze, balanciert im Zirkus, macht Stabhochsprung — aber man muss gar nicht das Extrem anstreben: Auch zum Gehen und Aufstehen, zum Erdbeerpflücken oder Klavierspielen ist der Mensch durch die bloße Harmonie seiner Erscheinung prädestiniert: Das feine Zusammenspiel von Knochen, Muskeln und Nervensystem gestattet ihm hochentwickelte Motorik, und der Aufbau seines Skeletts in der Gravitation, die Wirkung von (Gegen)Gewichten und Hebeln erlauben ihm ein eigentlich leichtes Dasein. Und doch:
• Warum machen wir es uns schwerer als es sein müsste?
Die größte Stärke des Menschen ist zugleich seine größte Schwäche. Seine Fähigkeit, alles zu lernen, gibt ihm die Fantasie, alles zu erfinden: Stühle, Betten, Schuhe, Maschinen: Dinge, die das Leben angenehmer machen und ihm Arbeit abnehmen. Dadurch ist er nicht nur weniger in Bewegung, sondern begibt sich ständig in unbewegte Positionen. Er sitzt stundenlang im Auto oder am Computer. Seine enormen Fähigkeiten, die Welt umzuformen, haben ihn zum bequemsten Tier gemacht: er nimmt seinen Muskeln und Knochen die Gelegenheit, sich Situationen anzupassen, wenn er seine Füße mit Einlagen stützt, Walking-Stöcke zum Gehen gebraucht oder zum 175. Mal nacheinander in die gleiche Richtung vom Sitzen ins Stehen wechselt. Auch ist seine bloße Fähigkeit zu Denken und zu Reflektieren manchmal hinderlich, wenn sie uns so in der Vergangenheit festhält, dass wir nervöses Herzklopfen bekommen, wenn wir einem bestimmten Menschen begegnen oder wenn wir wegen eines Traumas seit zwanzig Jahren nicht mehr tief ein- und ausatmen können.
• Warum ist das problematisch?
In diesen vielen ständigen Beschränkungen und Behinderungen entwickeln wir die Gewohnheiten unseres Bewegungsspektrums. Der Mensch ist nunmal ein bequemes Wesen. Schon bei Babies ist zu beobachten, dass sie eine "Lieblingsseite" haben, zu der sie den Kopf rollen oder ins Sitzen kommen. Es scheint ganz natürlich zu sein, dass wir uns das Leben leicht machen wollen und das Leichte immer zuerst suchen. Dadurch entwickeln wir im Laufe der Jahrezehnte Bewegungsmuster, die den Körper an den immer gleichen Stellen belasten — und die uns mit der Zeit in unserer Beweglichkeit einschränken. Die Konsequenzen daraus sind immer auf den gesamente Menschen mit all seinen Bewegungen bezogen: Wenn wir gebückt gehen, hat das nicht nur Auswirkung auf unsere Gelenke, sondern auch auf unsere Emotionen. Gleichzeitig blühen wir auch körperlich auf, wenn wir uns freuen oder verliebt sind. Die Bewegungen unserer Seele sind untrennbar mit unserem Körper verbunden.
• Was also tun?
Glücklicherweise hat unser Nervensystem eine ganz wundersame Angewohnheit: Sobald wir ihm ein wenig Aufmerksamkeit widmen, beginnt es fast wie von selbst, sich zu regulieren. Im Feldenkrais nutzen wir als "Zündung" dieses uralten, evolutionär überlebenswichtigen Mechanismus' leichte und ungewohnte Bewegung.
• Weshalb leicht und ungewohnt?
Das Gehirn ist dann besonders empfänglich für die Integration neuer Reize, wenn es neugierig sein darf und nicht gezwungen wird. Und das ist genau das, was wir wollen: Uns aus unserer Komfortzone und Bequemlichkeit so weit heraus zu wagen, dass wir zwar gefordert werden, und aber gleichzeitig sicher dabei fühlen. Nichts ist für das Lernen so hinderlich wie Angst und Zwang, Unlust und Langeweile — Emotionen, die wir zur Genüge in unserem Schulsystem und unserer Gesellschaft verankert haben.
Die im Feldenkrais erkundeten Bewegungen erscheinen vor allem deshalb "ungewohnt", weil sie abseits unserer alltäglichen Bewegungspfade liegen. Und doch zeigen sie gerade darin das schier unerschöpfliche Spektrum an Nuancen, Winkeln, Relationen, in dem sich der Mensch (und nur er!) bewegen kann.
• Feldenkrais ist also ...
... ein pädagogischer Ansatz, Dinge über sich selbst zu lernen und trägt auch dazu bei, wie wir die Welt und uns selbst in der Welt sehen. Wir gehen nicht davon aus, dass der Mensch "geheilt" oder "therapiert" werden muss, sondern dass er etwas lernen kann. Seine Fähigkeiten und Sehnsüchte, ja, sein ganzes Sein!, kann er dann am ehesten artikulieren, wenn es ihm gelingt, die Gegebenheiten seiner individuellen Existenz auf Basis der Gesetzmäßigkeit seiner anatomischen Realität und in Relation zu seiner Umgebung (Raum, Zeit, Schwerkraft, Umfeld) frei zu nutzen. Moshé Feldenkrais war der Ansicht, dass der Mensch erst so zu seiner persönlichen Würde findet: Wenn er tun kann, was er tun will, indem er also seinen persönlichen Träumen und Wünschen folgen kann.